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Werk
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Produktion
Aufnahme
Dem Köthener Kapellmeister und Director derer Cammer-Musiquen Johann Sebastian Bach waren Depressionen im heutigen Sinne wohl fremd. Zu konturlos zeigten sich Anfang des 18. Jahrhunderts noch die Umrisse eines eigenverantwortlichen Subjekts, das vernichtende Vorwürfe gegen sich selbst hätte erheben können, unter denen es erschöpft zusammenbricht. Affekte der Trauer und Melancholie hingegen dürften Bach sehr bekannt gewesen sein. Ihre klanglichenSpuren ziehen sich wie ein roter Faden durch seine Musik, in der sie mit anderen Affekten in vielfältige Beziehungen eintreten, um allgemeine, ein rein subjektives Verständnis übersteigende Empfindungen erfahrbar zu machen.
Die Entstehung der Suite für Violoncello solo c-moll BWV 1011 fällt in eine Zeit, in der ein tragisches Ereignis Bachs Leben aus den Fugen geraten ließ: der unerwartete Tod seiner ersten Frau Maria Barbara im Jahr 1720, mit der er fünf gemeinsame Kinder im Alter von vier bis elf Jahren hatte. Der Bericht des Nekrologs fällt der damaligen Zeit entsprechend nüchtern aus, Zitat: »Nachdem er mit dieser seiner ersten Ehegattin 13 Jahre eine vergnügte Ehe geführet hatte, wiederfuhr ihm […] der empfindliche Schmerz, dieselbe bey seiner Rückkunft von einer Reise, […] todt und begraben zu finden ohngeachtet er sie bey der Abreise gesund und frisch verlassen hatte. Die erste Nachricht, dass Sie krank gewesen und gestorben wäre, erhielt er beym Eintritte in sein Hauß.«
Die Gavotte (italienisch: Gavotta; englisch: Gavot) ist ein historischer Gesellschaftstanz im geraden Allabreve- oder 2/2-Takt. Charakteristisch ist ein halbtaktiger Auftakt, häufig in Form von zwei Vierteln. Sie war häufig Bestandteil der barocken Suite. „...Ihr Affekt ist wircklich eine rechte jauchzende Freude. Ihre Zeitmaaße ist zwar gerader Art; aber kein Vierviertel-Tact; sondern ein solcher, der aus zween halben Schlägen bestehet; ob er sich gleich in Viertel, ja gar in Achtel theilen läßt. Ich wollte wünschen, dass dieser Unterschied ein wenig besser in Acht genommen würde,...“
»Der Schläfer sieht, mit völlig geschlossenen Augen, aber nicht ohne Bewusstsein, diese seltsamen Tierwesen vorbeihuschen, diese wundersamen Vegetationen, diese furchterregenden oder grinsenden bleigrauen Erscheinungen. Diese Larven, Masken, Fratzen, Hydren, Konfusionen, jenes Mondlicht, ohne Mond, die finsteren Zerfallserscheinungen des Wunderbaren, dieses Werden und Vergehen in verwirrender Dichte, dieses Dahintreiben von Gestalten in der Finsternis, dieses ganze Geheimnis, das wir Traum nennen und das doch nichts anderes ist, als das Nahen einer unsichtbaren Wirklichkeit. Der Traum ist das Aquarium der Nacht. Solchermaßen sinnierte Gilliat ...«
Victor Hugo, Die Arbeiter des Meeres
Der 1. Satz der Solosonate op. 25/3 von Paul Hindemith, komponiert 1922 ist bi-tonal verfasst, d.h. es kommt zu einer simultanen Schichtung verschiedener Tonfelder ohne klar definiertes harmonisches Zentrum. Gleich am Anfang wird ein C-Dur Akkord unvermittelt in einen Cis-Dur Akkord umgebogen. Das reflexhaft folgende e versucht diesen ›Unfall‹ zu korrigieren, kommt als nachgereichte Terz des zuvor missratenden C-Dur-Akkordes allerdings zu spät, rutscht in ein es ab, das nun in kürzester Folge mit c-moll schon die dritte Tonart suggeriert. Über einen c-moll-Septakkord, der zum verminderten Septakkord auf Es mutiert, wird unvermittelt eine D-Ebene eingezogen, die nach Es und von dort nach E taumelt. Zwar ist eine steigende chromatische Bewegungals harmonische Folie noch erkennbar. Doch akkumuliert die musikalische Bewegung schnell eine unüberblickbare Fülle von Anschlussmöglichkeiten und uneingelöster Erwartungen. Die Form einer harmonischen ›Gleichzeitigkeit des Differenten‹destabilisiert das Gefüge der Musik, was nur durch die markierte und »mit festen Bogenstrichen« vorgetragene Rhythmen kompensiert werden kann.
Luciano Berios »Recitativo pour Cello seul« Les mots sont allés… (1979) setzt mit einem Spiel musikalischer Signifikanten an, die den Namen des Schweizer Kunstmäzens SACHER in die Partitur einzuschreiben versuchen. Das Verhältnis von Musik und Sprache wird hier ironisch thematisiert. Das Tempo: Viertel = 60 entspricht zwar genau der ›absoluten‹ Zeit der Sekunden, was durch die Trennung der Töne durch kurze Pausen allerdings auf Anhieb konterkariert wird. Die Bestandteile der Zeit erscheinen hier als unwiderruflich voneinander getrennt. Darüber hinaus verunmöglichen die penibel verzeichneten Spielanweisungen eine präzise und gleichförmige motorische Chronologie. Jeder einzelne Ton soll in einer unterschiedlichen dynamischen, timbrematischen und artikulatorischen Weise intoniert werden, was den Versuch eines ästhetischen Gleichmaßes von Anfang an ad absurdum führt. Vielmehr bricht sich ein zufälliges und differentielles Spiel musikalischer Signifikanten Bahn...
Dumky, die Mehrzahl des slavischen Wortes dumka, stammt aus dem Ukrainischen. Ursprünglich ist es der Diminutiv des Wortes duma, plural dumy, das in etwa eine elegische Ballade in Gedichtform bedeutet, speziell einen Trauergesang Gefangener oder ähnliches. Während des neunzehnten Jahrhunderts begannen Komponisten aus anderen slawischen Ländern damit, die duma als eine klassische Form für introvertierte, in sich versunkene Kompositionen (mit wenigen heiteren Zwischenabschnitten) zu benutzen.
Das Prélude der 1. Suite ist setzt mit Arpeggien im Bewegungsmuster des bekannten Präludiums C-Dur BWV 846 aus dem Wohltemperierten Klavier an. In harmonischer Hinsicht bleibt der Satz – trotz der mehrfachen Verwendung von Septakkorden – im engeren Umfeld der Ausgangstonart und betont die auf den leeren Saiten des Cellos entstehenden Akkorde. Gegen Ende steigert sich das Prélude durch einen langen ›bariolageartigen‹ Abschnitt, bei der sich eine gleichbleibende mit einer sich verändernden Note abwechselt, zu einem einzigartigen Höhepunkt. Die kaum unterbrochene Sechzehntelbewegung sorgt dabei für eine Einheitlichkeit, die das heterogene musikalische Material zusammenhalten kann.
Als ›Klang-Bild‹ (image-sonore) konzipiert, setzt Glissando II Cello-Sounds verschiedenen digitalen Manipulationen aus (Ring-Modulator, Granularsynthese, Time-stretch). Den theoretischen Ausgangspunkt bilden dabei musikalische Begriffe (›Modulation‹, ›kontinuierliche Variation‹, ›universelle Verzerrung‹), die Deleuze in seinem Text »Postskriptum über die Kontrollgesellschaften« verwendet hat.