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»Alle drei Aspekte fallen unter das, was Joseph Vogl in seiner aktuellen Analyse von Kapital und Ressentiment als »Einverseelung des Mangels« bezeichnet hat. Gemeint sind Figuren einer kalkulierten Verinnerlichung des Verzichts also, die für den hochentwickelten Kapitalismus ebenso charakteristisch wie notwendig sind. Ohne Selbstzurücknahme und Selbstdisziplin ist die Arbeitslast kapitalistischer Wertschöpfung nicht zu bewerkstelligen. Die Subjekte des Kapitals müssen ihre Affekte zügeln und kontrollieren bzw. in produktive Bahnen lenken, um auf diese Weise handlungsfähig zu sein. Gleichzeitig gibt es auch eine gegenläufige Tendenz in dieser Bewegung, die Marx die »abstrakte Genußsucht« des Kapitalisten bezeichnet hat.[2] Er meinte damit einen enthemmten Bereicherungstrieb, welcher das soziale Feld durchdringt und der Kapitalbewegung folgt. Dieser Bereicherungstrieb lässt sich mit keinem konkreten Bedürfnis und keiner episodischen Befriedigung oder Erfüllung abgleichen. Vielmehr manifestiert er sich als grenzenloses, unstillbares Verlangen in den Innenräumen des ökonomischen Subjekts. Die Barbarei des Braven macht sich also unter anderem auch darin bemerkbar, dass es zwei vollkommen gegenläufige Tendenzen unter dem Dach eines gemeinsamen Settings versammelt ...«
»Welcher Ökonomie folgt dieses Spektakel? Wie alle Klavieretüden von Ligeti ist auch L’escalier du diable eine rhythmische Etüde, eine ›étude du rhythme‹. Ligeti setzt ganz in diesem Sinne eine polyrhythmische Zirkulation in Gang, in deren Rahmen er sein motivisch-thematisches Kapital offensiv investieren kann. Das Anfangsritornell folgt dabei zunächst einer simplen Organisation: zwei Zweiergruppen werden mit einer Dreiergruppe verbunden. [24] Dieses rudimentäre Muster wird wiederholt, allerdings um eine weitere Zweier-Kombination ergänzt. [25] Aus beiden Varianten wird ein weiteres Muster gebildet, das sich zwar wiederholen lässt, allerdings bereits während dieser Wiederholung variiert wird usw. usf. Die kompositorische Montage des Ganzen, man könnte auch sagen, die kompositorische ›Idee‹ stetigsingulärer Veränderung bildet sich auf diese Weise in den Bestandteilen ihrer Zusammensetzung ab und umgekehrt, ohne dass beide dadurch identisch wären. Anders formuliert: Differenz und Wiederholung werden von Ligeti in einem fraktalen Sinne in Zone der Ununterscheidbarkeit versetzt, was bedeutet, dass sich kompositionstechnische Muster beim Hören lediglich im Nachhinein rekonstruieren lassen, dann wenn sie bereits von neuen polyrhythmischen Attacken überholt worden sind ...«
»Ein Kind, das im Dunklen Angst bekommt, beruhigt sich, indem es singt. Im Einklang mit seinem Lied geht es weiter oder bleibt stehen. Hat es sich verlaufen, versteckt es sich, so gut es geht, hinter dem Lied, oder versucht, sich recht und schlecht an seinem kleinen Lied zu orientieren. Dieses Lied ist so etwas wie der erste Ansatz für ein stabiles und ruhiges, für ein stabilisierendes und beruhigendes Zentrum mitten im Chaos. Es kann sein, daß das Kind springt, während es singt, daß es schneller oder langsamer läuft; aber das Lied selber ist bereits ein Sprung: es springt aus dem Chaos zu einem Beginn von Ordnung im Chaos, und es läuft auch jederzeit Gefahr zu zerfallen. Der Ariadnefaden erzeugt immer Klänge. Oder Orpheus singt ...«
Als Virtuelles lässt das Werk kommunizieren. Es informiert, indem es im Zwischenraum von Notentext, Interpret_in und zuhandenem Instrumentarium ein Spiel dividuierender Kräfte freisetzt, das klangliche Mischungen aus sich entlässt. Darin ist ein Akt des Widerstands zumindest impliziert. ...
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Platons Höhlengleichnis simuliert nichts weniger als die Genese eines absoluten Wissens, das sich in den Bildern der Welt in vielfältiger Weise artikuliert, niemals jedoch relativiert. Der Grundstein der abendländischen épisteme ist gelegt, einer hierarchischen Wissensordnung, die uns heute bis in die letzten Fasern eines durchökonomisierten Wissenschaftsbetriebes verfolgt. Sind wir nicht alle Platoniker_innen geblieben, zumindest dann, wenn wir uns – mehr oder weniger freiwillig … dazu genötigt sehen zwischen ›Wahrheit‹ und ›Fälschung‹ zu unterscheiden?
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Der Ton ist bereits für sich Variation. Er kann nur als Variabilität auftauchen, worin sich nicht zuletzt seine Virtualität bemerkbar macht. Die in der Tonproduktion wirksamen Variablen sind daher auch im Fall von Les mots sont allésnicht als Akzidenzien einer ontologischen Tonsubstanz zu begreifen, die in bestimmter Weise präkonfiguriert vorliegen würden. Sie zeigen sich vielmehr als Ausdruck einer Virtualität des Tons, die sich artikuliert, indem sie die Instanzen seiner Produktion mehr oder weniger produktiv affiziert. Dadurch, dass die Cellist_in zugleich streicht, greift, vibriert, artikuliert etc. und auf diese Weise heterogene Bewegungsabläufe in einen mehr oder weniger ›diskordanten‹ Einklang versetzt, bringt sie den Ton nicht nur hervor. Sie folgt gleichzeitig seiner immanenten Logik, die darin besteht, sich aus Abständen zu generieren, die ihm zugleich eine differentielle Form der Kontinuität verleihen ...
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Hans-Jörg Rheinberger richtet sein Hauptaugenmerk zwar in allen seinen Texten auf die mehr oder weniger opaken, das heißt rätselhaften Strukturen des Experimentierens, die er, als habilitierter Molekularbiologe, durch genaue rekonstruktive Analysen der biowissenschaftlichen Laborarbeit erforscht. Im Gegensatz zum üblichen Selbstverständnis der forschenden Naturwissenschaften zeigt er allerdings durch eben diese Analysen auf, dass weniger Planung und Kontrolle, als vielmehr Improvisation und Zufall den experimentellen Forschungsalltag prägen. Ein Charakteristikum, durch das auch seine eigene Forschung unablässig affiziert wird ...
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Eine digitale Symbiose stellt eine eigenartige Mischform aus einer biologischen und psychologisch-gesellschaftlichen Verbindung dar, weil sie zum einen im Rahmen organischer Gegebenheiten (wie beispielsweise dem menschlichen Wahrnehmungsapparat) operiert und auf der anderen Seite auf anorganisch-technologische Zusammenhänge bezogen ist. Zudem ist sie wesentlich durch ökonomische, das heißt wertschöpfende Kräfte bestimmt, was ihr den Charakter opaker Hybridität verleiht. Die digitale Symbiose bewegt sich in einem Zwischenraum von ›Natur‹ und ›Technik‹, um ihre Differenz gleichzeitig unablässig zu unterwandern und in Frage zu stellen. Zudem ist die ihr innewohnende Hierarchie alles andere als klar, sondern mehrfach asymmetrisch ...
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Zu ›redigieren‹, das bedeutet nicht nur, wie Jean-François Lyotard in seinem 1987 erschienenen Text »Die Moderne redigieren« deutlich macht, etwas ›in Ordnung zu bringen‹ oder ›durchzuarbeiten‹, beispielsweise ein vorliegendes Manuskript für eine bevorstehende wissenschaftliche Publikation. Zu Redigieren kann auch heißen, den Zeiger einer Uhr (lat. digitus) wieder auf null zurückzustellen, also zu re-digieren, um auf diese Weise, Zitat Lyotard, »reinen Tisch zu machen und auf einen Schlag eine neue Ära und eine neue Periodisierung einzuführen, die frei von jeglichen Vor-Urteilen ist.« Gemeint wäre eine Art von Rückkehr zu einem neuen Ausgangspunkt bzw. die Re-Konfiguration eines Anfangs, der alle bestehenden Voraussetzungen durchgestrichen hat und mit ihnen jede chronologische Linearität eines ›davor‹ oder ›danach‹ ...
‘Cliché’ and ‘Crisis’ are closely related in the history of the arts. On the one hand, artistic practices notoriously approach clichés in order to enter into an aesthetic game of difference and repetition with them. On the other hand, they are involved in an incessant struggle against the cliché, which seeks to break with predetermined formats in order to turn to the new and the unknown. The cliché thus regularly plunges art into a deep crisis, from which new clichés are likewise constantly emerging. The lecture attempts to relate this interplay to the current political situation in which cliché and crisis have become a kind of ‘zone of indistinguishability’. States of exception become the rule, while the succession of crisis-like situations acquires a certain form of predictability. What does this mean for political reality? What artistic practices could adequately intervene here?