September 2024
Wird die Metaphysik aktuell in den Keller verfrachtet, um dort in Ruhe zu verwahrlosen? Die Gesprächsreihe fragt nach aktuellen Implikationen metaphysischer Gedankenfiguren und Begriffe. Dabei ist Improvisation ebenso gefragt, wie freie Assoziation, Publikumsbeteiligung und musikalische Abwegigkeit. Die Methode der Kellermetaphysik ist wohl noch herauszuarbeiten. Fangen wir schnell damit an, jetzt, da das Hamburger SchauSpielHaus die »Realnische 0« freigelegt hat! War die Metaphysik in gewisser Weise nicht immer schon unterirdisch?
September 2024
Subjekt zu sein bedeutet immer auch, sich selbst gesetzte Grenzen zu überschreiten. Ein Subjekt schweift aus, es kennt kein Maß. Es tritt aus dem Dunkel ihm unzugänglicher Ordnungen hervor, die sich durch diesen Austritt selbst erst bestimmen. Ein Subjekt wird somit immer erst gewesen sein. Es konstelliert sich in einem »Futur II« und arbeitet unablässig seine eigene Zukunft auf. Was bedeutet Subjektivität heute? Welche politische Zukunft wird sie gehabt haben? Aus welchen normativen Ordnungen taucht sie auf und was verführt uns, diese Ordnungen zu überschreiten? ...
September 2024
Wie die von Rimbaud eingeführte Sprachakrobatik deutlich macht, spricht die poetische Sprache stets durch diejenigen hindurch, die sie verwenden. Dabei lässt sie die Beziehung von Subjekt und Objekt unscharf werden. Wer schreibt, leidet gelegentlich daran, den durch die Sprache angestrebten Sinn nicht vollständig zu erreichen. Er setzt sich der Kraft einer vorgegebenen symbolischen Ordnung aus, die seine eigene Endlichkeit übersteigt. Dementsprechend ist auch Rimbauds, unter offensichtlichen »Leiden« gefundene, poetisch-melancholische Selbstdiagnose (»Ich ist ein anderer…«) eher unzeitgemäß ...
April 2024
Hip Hop ist aktuell. In wohl kaum einem anderen popkulturellen Genre kristallisieren sich derartig viele Probleme einer zeitgemäßen Zeichenpolitik, die ästhetisch analysiert und praktisch weitergetrieben werden können. Wir können viel vom Hip Hop lernen, insbesondere mit Blick auf die hiesige Institution einer ›hochkulturellen‹ Wissensproduktion. Im Seminar soll – ausgehend von einer groben Nachzeichnung der Grundideen und Entwicklungslinien des Hip Hop – theoretisch und praktisch erforscht werden, inwiefern sich die Aktualität des Hip Hop künstlerisch-wissenschaftlich begreifen lässt. Dabei werden auch Künstler:innen aus der Hamburger Hip Hop-Szene zu Wort kommen: sie werden eingeladen, ihre jeweiligen Arbeiten im Seminar zu präsentieren und die damit verbundene Auslegung des Hip Hop zu erläutern...
April 2024
Die Gemeinschaft zerfällt. Zugleich setzt sie sich immer wieder neu zusammen und nimmt ungeahnte Konsistenzen an. Was aber ist eine Gemeinschaft? Und worin unterscheidet sie sich von einer Gruppe, einem Ensemble, dem Kollektiv? Das Seminar fragt nach aktuellen Potentialen gemeinschaftlichen Handelns und nach den von diesen ausgehenden Ästhetiken und Politiken. Zur Kronzeugin wird dabei die theatrale Praxis, die wohl wie niemand anderes sonst etwas zur Frage des Gemeinsamen, der Gruppe und der unablässigen Bewegung der ›Dividuation‹ mitzuteilen hat. Ausgehend von kanonischen Texten der französischen Differenzphilosophie (Nancy, Blanchot, Deleuze) soll die Perspektive gezielt auf feministische, queere und postkoloniale Gemeinschaftstheorien geöffnet werden. ...
April 2024
Die Erfahrung des Schönen kann durchaus traumatisch sein. Sie ermöglicht Kontaktaufnahme mit dem Unendlichen, was zugleich in die Niederungen der unmittelbaren Begrenztheit führt. Demensprechend präsent ist im ästhetischen Diskurs über das Schöne die Frage nach der Hässlichkeit. Was schön ist, was hässlich, liegt dabei zunächst in den Augen der Betrachter:innen. Zugleich reichert sich diese Kategorienbildung schnell mit politisch-ästhetischem Sinn an, die aktuell in Auseinandersetzungen um Körperbilder und ästhetische Machtpolitiken zum Ausdruck kommt. Das Seminar rekonstruiert eine aktuelle Theorie des Schönen anhand diverser historischer, aktueller und abwegiger Beispiele ...
April 2024
Wer schreibt, muss sich von dem Text tragen lassen, den er schreibt, muss sich ihm anvertrauen, in ihm »wohlfühlen« können wie in einer Fremde, die gleichwohl ein zu Hause bietet. Wie aber in einen solchen Text sich einfinden, wie ihn beginnen? Und wie in ihm fortfahren? Text-»Genres« sind hier zunächst hilfreich, weil sie den Duktus eines Textes vorzeichnen und eine gewisse Richtung vorgeben. Was aber ist eine Nachricht, was ein Kommentar, was sind Thesen, was ein Aufsatz, ein Essay, ein Traktat, eine Abhandlung? Und was sind die Spezifika einer Dissertation? Welche Elemente anderer Genres kann sie absorbieren, welcher solcher Elemente hat sie sich zu enthalten? Und worin bestehen im Übrigen die »stilistischen Eigenarten« einer Autor:in? Wie teilen sie sich einer Ausarbeitung mit, um ihr ein unverwechselbares »Timbre«, eine spezifische »Handschrift« zu verleihen? …
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März 2024
»Ein derartig ungezeugtes Wissen, so ließe sich im Sinne des Neuen Materialismus argumentieren, stellte die dynamische Materialität einer zeitgemäßen Bildungsinstitution dar, etwas also, das sich in seiner eigenen Vermittlung überhaupt erst herausbildet und immatrikuliert. Dieses Wissen entzöge sich dem um sich greifenden Ordo einer akademischen Aufzucht fürsorglich überwachter Lernschritte, die bis ins Einzelne kalkulierbar und evaluierbar sein sollen. Es widersetzte sich gängigen Techniken einer marktförmigen Disziplinierung, die ebenso ökonomische wie ordnungspolitische Dimensionen aufweist – Beispiele hierfür sind etwa Credit Points, Akkreditierungs-Agenturen oder Qualitäts-Management – und mit denen mächtige Interessen aktuell eine Unterwerfung aller Institutionen des Wissens unter das Diktat einer Maximierung von Mehrwert vorantreiben ...«
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Februar 2024
Was heißt ›Romantik‹? Und auf welche Weise lässt sich ihre Aktualität fassen, welches politisch-ästhetische Erbe treten wir durch sie an? Welche der von ihr eingeführten Affektökonomien lässt sie auch heute noch wirksam werden, wo wirkt sie in eigentümlicher Weise ›veraltet‹? ›Romantisch‹ zu sein heißt immer auch, sich in Ausweglosigkeiten zu bewegen. Die Romantik wagt den Sprung in die Unendlichkeit und scheitert dabei an der Unmöglichkeit ihrer eigenen Transzendenz. Dementsprechend begibt sich die Romantik immer auch auf Abwege. Das Seminar fragt hier nach Möglichkeiten von ästhetischer Unterbrechung und künstlerischer Intervention ...
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Februar 2024
»Die Formel I PREFER NOT TO schließt jede Alternative aus und verschlingt ebenso das, was sie zu bewahren vorgibt, wie sie auch jede andere Sache beseitigt; sie impliziert, dass Bartleby abzuschreiben, das heißt Worte zu reproduzieren aufhört; sie lässt eine Unbestimmtheitszone wachsen, so dass die Worte sich nicht mehr unterscheiden, sie schafft die Leere in der Sprache. Aber sie entschärft auch die Sprechakte, denen zufolge ein Arbeitgeber befehlen, ein wohlwollender Freund Fragen stellen, ein aufrichtiger Mensch Versprechungen machen kann. Würde Bartleby sich weigern, könnte er noch als Rebell oder als aufsässig ausgemacht werden und in dieser Rolle noch eine gesellschaftliche Rolle übernehmen ...«
Januar 2024
Die Annahme, dass die ebenso gehegten, wie gepflegten Kunstwerke der europäischen Musiktradition vom historischen Kontext einer kolonialen Verfallsgeschichte unbehelligt entstanden seien, erscheint heute – so hartnäckig sie sich auch immer halten mag – als wahnhafte Projektion. Selbstverständlich klingt auch in den Werken der Tradition ein ›eurozentrisches‹ Gedankengut wider, das nicht zuletzt die gängige musiktheoretische Terminologie geprägt und beeinträchtigt hat. Der eintägige Workshop begibt sich hier auf eine kritische Spurensuche. Er legt kolonialistische und rassistische Gedankenfiguren in Texten der musiktheoretischen Tradition frei, um sie mit den dort verhandelten Werken in Beziehung zu setzten ...
Januar 2024
»Statt qualitätssichernde Maßnahmen voranzutreiben, die letztlich die Auftrennung der Fächer und Disziplinen stillschweigend forcieren und somit eine auf Arbeitsteilung gründende Ökonomisierung von Wissensbeständen protegiert, könnte beispielsweise alternativ eine neue musiktheoretische Aussagenproduktion angestrebt werden, die beanspruchen würde, konventionelle Diskurseinteilungen in Fragezustellen und die mit ihnen verbundene Disziplinierung zu unterlaufen. Gemeint wäre beispielsweise das Vorhaben, eine fachspezifische, auf Verfahren künstlerischer Musikforschung ausgerichtete musiktheoretische Epistemologie zu betreiben, die gerade diejenigen Konfigurationen eines musikalischen Wissens in den Blick nimmt, die weder in den einzelnen musikalischen (musikpraktischen, künstlerischen) noch musikbezogenen (musikwissenschaftlichen, musikästhetischen) Disziplinen und Wissenschaften aufgehoben sind ...«
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2023
November 2023
›Arbeit‹ ist eine diffuse Kategorie. Wo fängt sie an, was markiert ihr Ende? Und wie sollte Arbeit ›angemessen‹ entlohnt werden? Welche Instanzen entscheiden über den Sinn von Arbeit, wer spricht ihr jegliche Berechtigung ab? Solche Fragen werden in künstlerischen Zusammenhängen in einer besonderen Weise relevant. Eine im Arbeitsbegriff selbst anthropologisch angelegte Spannung zwischen ökonomischer Reproduktion und ideeller Sinnstiftung wird hier wirksam, die in unlösbare Widersprüche führt. Das Seminar setzt Texte der philosophischen Arbeitstheorie mit aktuellen Symptomen der theatralen Kunstproduktion in Beziehung. Dabei soll es unter anderem darum gehen, nach zukunftsweisenden und nachhaltigen Formen künstlerischer Arbeit zu suchen, die bislang nur im Modus ihrer experimentellen Erprobung zugänglich sind …
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November 2023
›Brav‹ zu sein bedeutet, sich unaufgefordert an bestehende Regeln zu halten. Wer brav ist, gehorcht gerne und genießt den Schutz nicht weiter zu hinterfragender gesellschaftlicher Norm. Aktuell gerät die bürgerliche Kardinaltugend des Braven allerdings an eine brisante Schnittstelle. Einerseits werden Gehorsamkeitsregime auch im künstlerischen Bereich kontinuierlich ausgeweitet. Andererseits verlangt der Markt permanent nach zumindest simulierter Rebellion, um neue ›Alleinstellungsmerkmale‹ zu erschließen. Und wenn es so etwas wie eine These ist, die ich im Folgenden ausführen will, so ließe sich ihr Inhalt wie folgt zusammenfassen: Die spätmodernen, ordoliberalen, das heißt auf einer autoritären Durchsetzung und Ausweitung marktförmiger Systeme der Kontrolle und Selbstkontrolle westlicher Gesellschaften gewinnen zusehends Kohärenz aus einem »primär defensiven Weltverhältnis«, das mit der Bereitschaft zur weitestgehenden Anpassung an gegebene Verhältnisse einhergeht ...
November 2023
Das Bürgertum hat ein gespaltenes Verhältnis zum Affekt. Einerseits sollen Affekte produktiv gemacht werden und in die Passform eines gelungenen Lebens eingetragen. Andererseits bedrohen Affekte den geregelten Verkehr von ›Reiz‹ und ›Reaktion‹: Sie lassen sich nur durch kalkulierte Strenge zügeln und koordinieren. Der Workshop lotet das Verhältnis von Affekt und Bürgerlichkeit praktisch wie theoretisch aus. In den Fokus gerät dabei eine kaum zu kontrollierende Beziehung von Nähe und Distanz, die ihr Gegenbild – zunehmend – in »bürgerlicher Kälte« (Kohpeiß 2023) findet.
November 2024
»Wir alle lieben die Vielfalt und wollen uns gerne mit ihr befassen, vergessen dabei aber gelegentlich, dass es sich bei Diversität immer auch und womöglich vor allem um ein ökonomisches Thema handelt, da gezeigt werden kann, dass Diskriminierung und soziale Ausgrenzung viel mit einer Ungleichverteilung finanzieller Ressourcen verbunden ist, womöglich sogar auf ihr basiert. [Karl Marx hat es als erster für uns ausbuchstabiert, viele andere folgten: der gesellschaftliche Hauptwiderspruch ist klassenbezogen und ökonomisch. Alle weiteren gesellschaftlichen Widersprüche sind Effekte ökonomischer Ungleichheit, in gewisser Weise deren ›Akzidenzien‹. Und hier ist die Sprache der Fakten tatsächlich alles andere als divers, eher erschreckend klar, »In Deutschland« ich zitiere aus einer aktuellen Publikation von Francis Seeck, Zitat, »verfügt das reichste Zehntel über 65 Prozent des Gesamtvermögens, während die untere Hälfte nur 1 Prozent des Gesamtvermögens besitzt. Von diesen unteren 50 Prozent [mit einem Prozent Gesamtvermögen] wiederum haben 20 Prozent überhaupt kein Vermögen oder sind sogar verschuldet ...«
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Oktober 2023
Was sind Geisteswissenschaften und wozu sollte man sie heute (noch) betreiben? Worin liegt ihr ästhetisch-politischer Sinn? Wie lassen sich geisteswissenschaftliche Vorgehensweisen mit Fragen der Theaterpraxis verknüpfen? Solche Fragen versucht der Kurs im Rahmen eines kursorischen Überblicks geisteswissenschaftlicher Grundbegriffe aufzuwerfen. Dabei wird eine praxeologischeMethode verfolgt: Wir entwickeln gemeinsam ein ebenso vorläufiges wie flexibles geisteswissenschaftliches Grundvokabular aus einer Analyse des geisteswissenschaftlichen Aktes heraus, anstatt es diesem vorab in Form abstrakter Begriffe vorauszusetzen. Drei Fragen leiten uns dabei an: Wie kann ich eine adäquate geisteswissenschaftliche Forschungsfrage entwickeln (I. ›Denken‹)? Welche Methode wende ich an, um dieser Frage nachzugehen (II. ›Forschen‹)? In welcher Weise stelle ich die Ergebnisse meiner geisteswissenschaftlichen Forschungsarbeit abschließend schriftlich dar (III. ›Schreiben‹)? In Form eines Ausblicks kann dann abschließend noch darüber nachgedachgt werden, wie sich Geisteswissenschaft und Theater in Szenarien künstlerischer Forschung miteinander verbinden lassen.
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Oktober 2023
Nie ist Hören bloßes Mittel zum Zweck. Stets bringt es eigene Wahrnehmungs- und Empfindungsweisen hervor, die ihm den Status eines eigenständigen und genuin ästhetischen Geschehens verleihen. Das Seminar setzt vor diesem Hintergrund philosophische Theorien des Hörens mit Beispielen aus der musikalischen Tradition in Beziehung, um auf diese Weise die Beziehungen von Musikästhetik und Gehörbildung kollaborativ zu evaluieren: Wie wäre eine aktuelle Theorie des Hörens verfasst, die für die musikalische Praxis anschlussfähig ist? Welche Herausforderungen an eine Methodik künstlerischer Musikforschung würden durch eine solche Praxis gestellt …?
Oktober 2023
Diversity wird zumeist in identitätslogischen Kategorien verhandelt. Das, was verschieden ist, kann anhand unterschiedlicher ›Marker‹ (Geschlecht, Hautfarbe, soziale Herkunft) identifiziert und einer kritischen Auseinandersetzung zugänglich gemacht werden. Vernachlässigt wird in diesem Zusammenhang gelegentlich, dass diversity auch eine stark ökonomisch geprägte Dimension besitzt, die auf gängigen Identitätsbildungen vorausliegende gesellschaftliche Prozesse verweist. Politische Ungleichheit zeigt sich auch weiterhin und vor allem in einer ungleichen Verteilung ökonomischer Ressourcen, was im Musikbetrieb und seinen Ausbildungsinstanzen in einer besonderen Weise spürbar ist. Das Seminar versucht klassische ökonomische Theorien mit aktuellen Pathologien hochkultureller Kunstproduktion in Beziehung zu setzen …
September 2023
Der Klimawandel hat den klassischen Musikbetrieb erreicht. Durch die drohende Vollkatastrophe mischen sich unüberhörbare Dissonanzen ins globale Konzert hochkultureller Musikproduktion. Wie viele Festspiele können wir uns noch leisten? Und was für Server gewährleisten den Genuss digitaler ‚concert-streams‘? Welche Mengen an Kerosin werden bei einer Asien-Tournee eines europäischen Spitzenorchesters in die Atmosphäre gepustet? Das Seminar geht den weit zurückreichenden Beziehungen von Musik und Klima nach. Dabei sollen aus dem musikalischen Material selbst Strategien skizziert werden, den Klimawandel ästhetisch nachhaltig zu bekämpfen …
September 2023
»Es stimmt, dass sich die Philosophie nicht von einem Zorn gegen ihr Zeitalter trennen lässt [colère contre l’epoque], aber auch nicht von der Heiterkeit [sérénité], die sie uns verleiht. Die Philosophie ist keine Macht. Religion, Staat, Kapitalismus, Wissenschaft, Recht, öffentliche Meinung und Fernsehen sind Mächte, aber nicht die Philosophie. Die Philosophie kennt große innere Schlachten [batailles intérieurs] (Idealismus gegen Realismus etc.), aber das sind Schlachten, um zu lachen. Da, die Philosophie keine Macht ist kann sie auch nicht in eine Schlacht mit den Mächten eintreten, sie führt stattdessen einen Krieg ohne Schlacht gegen sie, eine Guerilla [guerre sans bataille]. Und sie kann nicht mit den Mächten sprechen, sie hat ihnen nichts zu sagen, nichts mitzuteilen, sie führt nur Unterhandlungen ...« (Gilles Deleuze, Pourparlers [1993])
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September 2023
Classicus heißt auf Latein »zur ersten Steuerklasse gehörig« bzw. »mustergültig«. »Eine Leistung der Extraklasse« wird beispielsweise konstatiert oder »eine erstklassige Wahl« getroffen. Auch die ›klassische‹ Musik verspricht, reichhaltige Distinktionsgewinne einzufahren. Sie repräsentiert traditionelle Werte wie Fleiß, Genauigkeit und Durchhaltevermögen und ermöglicht ihren Konsument:innen auf diese Weise, sich vom gesellschaftlichen Einerlei abzuheben. Musik ist nicht nur ein ästhetisches, sondern vor allem auch ein soziales Phänomen. Musikalischer Geschmack entsteht dementsprechend nicht zufällig, er hängt eng mit dem Lebensstil beziehungsweise der Schichtzugehörigkeit zusammen, wie es beispielsweise der französische Soziologe Pierre Bourdieu in seinem Buch Die feinen Unterschiede gezeigt hat ...
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Juni 2023
Gesetzmäßigkeiten fraktaler Geometrie, wie sie vom französisch-US-amerikanischen Mathematiker Benoît Mandelbrot (1923-2010) freigelegt und von György Ligeti kompositorisch aufgegriffen wurden, lassen sich nicht nur mit musikalischen Prozessen in Verbindung bringen. Sie sind auch für die Analyse wirtschaftlicher Krisen relevant, selbst wenn sich klassische ökonomische Theorien bis heute mehr oder weniger erfolgreich dagegen wehren. Der Beitrag setzt vor diesem Hintergrund Ligetis Études pour piano (1985–1994) spekulativ mit Entwicklungen auf den Finanzmärkten der 1980er und 90er Jahre in Beziehung, um von hier aus die politisch-ästhetische Aktualität von Ligetis kompositorischem Ansatz zu unterstreichen. ...
Juni 2023
»Wir behaupten durchaus nicht, daß das Ritornell der Ursprung der Musik sei, oder daß die Musik mit ihm beginne. Es ist nicht gen au bekannt, wann die Musik begonnen hat. Das Ritornell ist eher ein Mittel, um Musik zu verhindem, abzuwehren oder loszuwerden. Aber die Musik existiert, weil auch das Ritornell existiert, weil die Musik das Ritornell aufnimmt, es sich als Inhalt in einer Ausdrucksform aneignet, weil sie einen Block mit ihm bildet und es fortträgt […] Die Musik unterwirft das Ritornell dieser besonderen Behandlung durch die Diagonale oder Transversale, sie reißt es aus seiner Territorialität heraus. Musik ist ein kreativer, aktiver Vorgang. der darin besteht. das Ritornell zu deterritorialisieren ...« (Gilles Deleuze / Félix Guattari, Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie II, S. 423.)
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April 2023
Das Patriarchat wankt. Zugleich scheint es über die rätselhafte Fähigkeit zu verfügen, sich immer wieder in Form bizarrer Widergänger zu erneuern. Seit geraumer Zeit wird dieser Umstand anhand der Gedankenfigur des »alten weißen Mannes« kritisch befragt, die darauf hinweisen möchte, dass eine Konzentration von Wissen, Macht und Kapital auch weiterhin an eine bestimmte Konfiguration von Geschlecht, Hautfarbe und Alter gekoppelt ist. Das Seminar geht dieser Gedankenfigur nach. Es versucht die Begriffsperson des alten weißen Mannes in der Literatur- und Philosophiegeschichte freizulegen und die Option einer dramatischen Attacke auf sie politisch-ästhetisch in Erwägung zu ziehen ...
März 2023
Was ist künstlerische Präsenz? Und wie lässt sie sich auf einer Bühne wirkungsvoll aktualisieren? Wodurch wäre eine gelungene künstlerische Performance ausgezeichnet? Derartige Fragen haben seit der Corona-Krise eine neue Qualität angenommen. Sie verweisen auf eine zunehmende Integration digitaler Medien in den klassischen Konzert- und Theaterbetrieb und lassen die Schwierigkeit einer trennscharfen Unterscheidung von ›echter‹ und ›simulierter‹ Wirklichkeit in den Künsten greifbar werden. Dementsprechend fragt das Seminar nach den Möglichkeiten, zeitgemäße Formen der Bühnenpräsenz und Performativität ebenso theoretisch wie praktisch zu bestimmen …
März 2023
Die Kompositionsgeschichte lässt sich immer auch als eine solche von Geschlechterkämpfen entziffern. Während der Klang an sich alle möglichen Formen geschlechtlicher Identitiät suggeriert und hörbar möglich werden lässt, war es über eine lange Zeit lediglich Männern vorbehalten, musikalische Kompositionen abschließend ins Werk zu setzen. Das Programm dieses Konzerts verfolgt Spuren, die in eine andere Richtung verweisen. Es erforscht Werke für Klaviertrio von vier Komponistinnen, die sich in je eigener Weise und zu historisch kontingentem Zeitpunkt mit den vorherrschenden Machtverhältnissen ihrer Zeit auseinandersetzen ...
Februar 2023
»Die Jugend hat keine Welt, in der sie sich einrichten, kein Sein, in dem sie ruhen, kein Symbol, das sie repräsentieren kann. Dass sie sich im Geist und als Geist erkennt, heißt, dass ihr nichts mehr widerspricht als Natur, als das Unwissen und das Unbewusste der Gewöhnung und der Gewohnheit, des Soseins. Eine Jugend in der Knechtschaft, eine Jugend, die zur Welt gehört, zu den Abläufen und den Verhältnissen, zur Gesellschaft, ist ein Widerspruch, die Verwechslung einer geistigen mit einer natürlichen Größe. Deshalb denunziert die Metaphysik der Jugend den Reifeprozess, der die Jugend dem »Sein der Väter und Ahnen« zuführen soll, als Täuschung, Lüge, Ideologie.« (Alexander García Düttmann, Lob der Jugend)