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Während der Corona-Pandemie lässt sich der Eindruck kaum vermeiden, dass es zwischen ›Philosophie‹ und ›Politik‹ – zumindest in Deutschland – zu einer einvernehmlichen Trennung gekommen ist: man hat sich nicht mehr wirklich viel zu sagen. Erkennbare Impulse beispielsweise, die Stimme der philosophischen Reflexion in die abendfüllenden Debatten im Berliner Kanzler*innenamt mit aufzunehmen blieben aus. Und auch wenn sich auf der Ebene verschiedener Blogs, Podcasts und sonstiger Online-Formate eine bunte Vielfalt philosophischer Ausdeutungen der Krise artikuliert: philosophische Veröffentlichungen zum Thema, denen es gelingt sich an die Oberfläche einer ›breiteren‹ Öffentlichkeit durchzuschlagen, sind eher die Seltenheit. Das einzige Buch, das ebenso tiefgreifend, wie schnell auf die Krise reagierte und vor allem ihre ökonomischen Konsequenzen analysierte kam bezeichnender Weise nicht von einer Philosoph*in, sondern von einem Literaturwissenschaftler: Joseph Vogls Studie Kapital und Ressentiment. Eine kurze Theorie der Gegenwart. Auch wenn diese Auflistung von Buchtiteln eine gewisse Themenvielfalt suggeriert, ist die publizistische Ausbeute bei einer derart breit aufgestellten akademischen Disziplin wie der Philosophie eher überschaubar. Ihre meisten Vertreter*innen hüllten und hüllen sich auch in dieser politischen Debatte – wie so häufig – in bedeutungsvolles Schweigen, um weiter ihren regulären Forschungen nachzugehen. Macht sich hierin eine spezifische Form der ›Machtlosigkeit‹ der Philosophie bemerkbar?
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»Zweifellos kann ich den Tag auch dazu nutzen, um zu Hause zu bleiben; oder ich kann zu Hause bleiben dank eines anderen Möglichen (›es ist Nacht‹). Aber stets erfolgt die Verwirklichung des Möglichen durch Ausschließung, denn sie setzt Vorlieben und Ziele voraus, die variieren und immer die vorhergehenden ersetzen. Es sind diese Variationen, diese Substitutionen, all diese ausschließenden Disjunktionen (Nachtdunkel – Tageshelle, ausgehen– heimkehren), die auf die Dauer ermüden.« (Gilles Deleuze, Erschöpft)
Die musikalische Bewegung ist flüchtig, sie wird stets ohne Ausweis ihrer selbst angetroffen. Dennoch hinterlässt sie Spuren in der musikalischen Wirklichkeit, die sich nachverfolgen, auf-zeichnen und ›kartographieren‹ lassen. Ihre Zusammenstellung prägt ein spezifisches ›Profil‹ aus, das sich hörend abtasten und analytisch evaluieren lässt. Der Versuch, ein derartiges Bewegungsprofil der Musik sprachlich festzuhalten, muss allerdings zunächst in einer spekulativen Weise verfahren. Er tastet sich voran, sucht nach geeigneten Begriffen, um doch immer wieder an seinem schwer fassbaren Untersuchungsgegenstand abzugleiten. Die Kategorien der musikalischen ›Bewegungsprofilistik‹ befinden sich daher selber in Bewegung. Sie können ausprobiert, variiert und angepasst werden und unterliegen keinem Verdikt vorab definierter Gültigkeit. Vielmehr lautet der einzige, an sie gerichtete Anspruch, dass sie funktionieren müssen. Tun sie es nicht, werden sie durch andere Konzepte ersetzt. Eine solche Vorgehensweise ist pragmatisch. Sie trifft provisorische Unterscheidungen, die zeitweilige Wirksamkeit entfalten und im weiteren gedanklichen Prozess modifiziert werden können. Die Theorie des musikalischen Bewegungsprofils umreißt somit ein Experimentierfeld spekulativ verfahrender Musikforschung, das zunächst selber an theoretischem Profil gewinnen muss. Es muss in seinen wesentlichen Zügen vermessen und Bezug auf weiterführende methodische Schritte durchlaufen werden.
Zusammenfassung: Im Anti-Ödipus kündigt sich, konsequent durchgeführt, das Thema einer universellen Wunschproduktion an, die dadurch definiert ist, dass ihre »Produktion als Prozess alle Kategorien übersteigt und derart einen Kreis darstellt, dem der Wunsch immanentes Prinzip ist.« Eine derartige Wunschproduktion de-strukturiert offensichtlich auch die überkommene Form des philosophischen Buches, um uns als Leser*innen – durch die Mitnahme in einem Maschinen-Buch – in dem, gemäß Guattaris Leitmotiv, »es keine zwei Ebenen, die des Ausdrucks und die des Inhalts gibt, sondern eine einzige Konsistenzebene (= die Ebene der maschinischen Abstammung)«, dahin zu bringen, unsere eigenen konnektiven und disjunktiven transversalen Synthesen zu produzieren. Denn wenn man sich, wie Deleuze und Guattari zu Beginn des Anti-Ödipus konstatieren, »mit der idealistischen Kategorie des Ausdrucks zufriedengeben kann«, dann auch, weil die Leser*in in diese(r) Bewegung »der Maschine der Maschinen« integriert und desintegriert und durch dieses »Gesetz der Produktion von Produktion«, wo »der Einschnitt, statt im Gegensatz zur Kontinuität zu stehen, sie bedingt und das impliziert und definiert, was er als ideelle Kontinuität sie bedingt, das impliziert und definiert, was er als ideelle Kontinuität abtrennt.« Deshalb lässt die ebenso intensive wie energetische Schrift des Anti-Ödipus auf Anhieb und und dauerhaft die Totalität des unbewussten Produktionsprozesses auf die Leser*in-Monteur*in »einer Schrift« übergehen, »die die des Realen selbst [ist], merkwürdig polyvok und nie bijektiv, linearisiert und einer transkursiven, keiner diskursiven Schrift.«
Das 1975 erschienene Buch Überwachen und Strafen – Die Geburt des Gefängnisses ist wahrscheinlich eines der wichtigsten und – neben Die Ordnung der Dinge – auch eines der populärsten Bücher des französischen Philosophen und Historikers Michel Foucault. Auf jeden Fall ist es, wie Foucaults Biograph Didier Eribon festgestellt hat, »eines seiner schönsten, vielleicht sogar das schönste.« Eine Schönheit allerdings, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen kann, angesichts der kühlen Strenge, mit der Foucault hier eine ›Mikrophysik der Macht‹ analysiert, die in der Institution des modernen Gefängnisses eine würdige Komplizin gefunden hat. Das Cover der deutschen Taschenbuchausgabe zeigt Foucault in einer für ihn typischen Pose: Als furchtlosen Denker, der den politischen Gegebenheiten seiner Zeit unverhohlen ins Auge blickt. Foucaults rechter Zeigefinger verkehrt die machtvolle Geste des Schweigens (›sch-ttt‹) ins Konspirative und zeigt dabei deutlich nach links: auf die weiße Leinwand einer noch unbeschrittenen politischen Zukunft, die sich von der rechtslastigen, im Bücherregal aufgestellten Phalanx des französischen Wissens wegbewegt. Das auf dem Bild zu erahnende Motto ›Weg vom theoretischen akademischen Wissen, hin zur politischen Praxis‹ lässt sich auch auf Überwachen und Strafen beziehen. Einerseits handelt es sich um Foucaults erste und minutiös vorbereitete Publikation, nachdem er 1970 den Thron des damaligen Olymps der französischen Geisteswissenschaften erklommen hatte: eine eigens für ihn eingerichtete Professur zur Erforschung der ›Geschichte der Denksysteme‹ am College de France in Paris. Andererseits klingt im Forschungsgegenstand des Buches auch Foucaults damaliges Engagement in der G.I.P. (Groupe d’information sur le Prison) wieder, einer linksradikalen Gruppierung, die sich gegen die Todesstrafe und reaktionäre Gefängnisreformen im Frankreich der Post-1968er Jahre stark machte ...
Die französische Differenzphilosophie verwirft die Vorstellung einer mit sich selbst identischen Gegenwart als Phantasma abendländischer ›Präsenzmetaphysik‹. Eine Hauptthese der Differenzphilosophie lautet: Es gibt keinen Begriff des Gegenwärtigen als ungeteiltem und mit sich selbst identischem Jetztpunkt. Vielmehr ist jede Gegenwart immer schon in sich selbst geteilt, unaufhebbar verschoben und somit ›ursprünglich verspätet‹. Wenn die ›reine Gegenwart‹ selbst jedoch das Undenkbare schlechthin ist, ändern sich auch die Bedingungen, unter denen von Vergangenheit und Zukunft gesprochen werden kann. Das berührt unter anderem die Rede von ›Gedächtnis und Erinnerung‹, um die es im Folgenden gehen soll. Die Ausgangsfrage lautet dabei, welche Beziehung zwischen einem Denken der Differenz, das sich die ›ursprüngliche Ursprungslosigkeit‹ zum Thema macht, und dem ›Gedächtnis‹ der Philosophiegeschichte besteht. Das Beispiel, anhand dessen ich dieser Frage nachgehen werde, ist das 1968 erschienene Buch Differenz und Wiederholung von Gilles Deleuze und die darin enthaltenen Bezüge auf Henri Bergsons Gedächtnistheorie.
Christoph Hohlfelds musiktheoretische Arbeiten sind bislang über seinen unmittelbaren Schülerkreis hinaus kaum rezipiert worden. Dies mag einerseits mit einer schwer zugänglichen Terminologie und einer gewissen, gerade in den späten Publikationen sich verfestigenden Hermetik seines Ansatzes zusammenhängen, andererseits mit der Schwierigkeit, von seinen Überlegungen ausgehend an derzeitige musiktheoretische und musikästhetische Diskurse und Fragestellungen anzuschließen. Vor diesem Hintergrund verfolgt die vorliegende Arbeit zwei Ziele: Zum einen sollen Potentiale einer Rezeption des Hohlfeldschen Ansatzes für weiterführende musiktheoretische Arbeiten verdeutlicht werden. Hierfür werden zentrale Kategorien Hohlfelds vorgestellt und im Hinblick auf Beethovens Streichquartett op. 130 produktiv gemacht. Zum anderen geht es darum, Anschlüsse zur aktuellen musikästhetischen Diskussion zu vermitteln: Es wird eine Interpretation vorgeschlagen, die den musiktheoretischen Überlegungen eine spezifisch philosophische Wendung gibt. Nach einleitenden Vorüberlegungen werde ich im ersten Teil der Arbeit zunächst die methodischen Konturen von Hohlfelds Ansatz herausarbeiten. Dabei wird in erster Linie seine 2003 veröffentlichte Studie Beethovens Weg im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. Auf dieser Basis soll in einem zweiten Teil schwerpunktmäßig der 1. Satz des Streichquartetts op. 130 von Ludwig van Beethoven im Hinblick auf die strukturierende Funktion seiner Anfangswendung analysiert werden. In den Mittelpunkt rückt dabei der Begriff der musikalischen ›Formel‹, der verdeutlicht, dass Hohlfelds Ansatz von idealistischen und ›ursprungslogischen‹ Annahmen getragen wird, die seine theoretische Konzeption maßgeblich beeinflussen. Im dritten und letzten Teil der Arbeit wird von den gewonnenen Analyseergebnissen her nach weiterführenden Möglichkeiten gefragt, die Anfangswendung des Quartetts op. 130 philosophisch zu interpretieren. Eine wichtige Bedeutung gewinnt hierbei der von Walter Benjamin im Ursprung des deutschen Trauerspiels konzipierte Begriff der ›Allegorie‹. Das Quartett eröffnet somit zwei sehr gegensätzlichen Interpretationsansätzen die Möglichkeit, sich in einigen Punkten zu berühren aber auch in verschiedener Hinsicht in einen fundamentalen Widerstreit zu geraten. Dieser wird in abschließenden Bemerkungen zum Gegenstand einiger knapper methodischer Überlegungen gemacht.
Mit den beiden Sammlungen für unbegleitete Violine bzw. für unbegleitetes Violoncello überschreitet Bach die zu seiner Zeit üblich Spielpraxis erheblich, was sich unter anderem in den relativ hohen Anforderungen an das Akkordspiel und einer für die damalige Zeit vollkommen neuartigen Darstellung komplexer polyphoner Zusammenhänge auf einem Solo-Instrument bemerkbar macht. In der folgenden Analyse versuche ich zu zeigen, inwiefern diese Erweiterung der instrumentaltechnischen Gepflogenheiten von Bach nicht allein aus Gründen einer gekonnt in Szene gesetzten ›Virtuosität‹, sondern auch aus einer formalen Notwendigkeit heraus vorgenommen wurde. Diese entsteht unter anderem dann, wenn der Wunsch einer Übertragung bereits erprobter Kompositionstechniken auf ein neues und in Bezug auf seine musikalischen Möglichkeiten noch relativ ›unerforschtes‹ Instrument prallt.
Die Auffassung, in der romantischen Musik sei die Melodie der »primäre Ausdrucksträger« während der Harmonie eine eher ordnende und logisch-rationale Funktion zukomme, findet sich teilweise auch in der Schumann-Literatur. Eng verbunden mit dieser Ansicht ist die Annahme, die Melodiebildung sei die genuine Aufgabe der künstlerischen ›Erfindung‹, des ›Poetischen‹ oder gar eines ›Genialen‹, während die Harmonie lediglich strategischen bzw. ›technischen‹ Erwägungen entspränge. Eine derartige, in solchen Unterscheidungen immer mitgedachte, ›Arbeitsteilung‹ zweier deutlich voneinander abzugrenzender Sphären (›Melodie‹ und ›Harmonie‹) lässt sich allerdings in Schumanns Musik nur sehr selten aufzeigen. Darüber hinaus wi-derspricht sie seinem Glauben an die Einheit stiftende Kraft einer romantischen Idee des Musikalisch-Poetischen und der kreativen Integration harmonisch-melodischer Prozesse in seinen Werken.
Die kryptische Notiz Beethovens auf einem seiner Skizzenblätter „letztes Quartett mit einer ernsthaften und schwergängigen Einleitung“ verweist auf die zu Beginn des Streichquartetts B-Dur op. 130 unisono exponierte melodische Wendung b-a-as-g. Dieser ‚schwere Gang‘ – ein unvollständiger Passus duriusculus – dient dem weiteren Verlauf des Werkes als strukturierendes Element. Beethoven verbindet auf diese Weise ein stilistisches Merkmal seiner Musik – das harmonische ‚Programm‘ der Komposition in einzelnen Tonfolgen formelhaft zusammenzufassen – mit einer eigentümlichen Rezeption der barocken Figurenlehre. Die Anfangswendung des Quartetts wird im Folgenden aus den Blickwinkeln zweier verschiedener theoretischer Ansätze betrachtet. Aus der Sicht von Christoph Hohlfelds musiktheoretischer Methode einer Schule musikalischen Denkens ist sie Teil einer ‚Lamento-Formel‘, die den entscheidenden strukturellen Konflikt der Komposition latent enthält und somit den Ansatzpunkt einer analytischen Re-Konstruktion des musikalischen Strukturzusammenhanges bilden kann (I). Aus der Perspektive der zweiten Lesart – die sich auf Walter Benjamins Ursprung des deutschen Trauerspiels bezieht – wird die Anfangswendung zur ‚musikalischen Allegorie‘, die von einer „ursprünglichen Entzweitheit“zwischen Materialität und Bedeutung geprägt ist, von der aus eine dekonstruktive Interpretation entwickelt werden kann (II). Das Quartett eröffnet somit zwei sehr gegensätzlichen Interpretationsansätzen die Möglichkeit, sich in einigen Punkten zu berühren aber auch in verschiedener Hinsicht in einen fundamentalen Widerstreit zu geraten. Dieser wird im Schlussteil zum Gegenstand einiger knapper methodischer Überlegungen gemacht (III).